Kleines Salonstück

Photo von Miriam Brunner

KLEINES SALONSTÜCK

 

Personen

 

Rechtsanwalt Dr. iur. Robert Altweg, 40, ledig

Dr. med. Peter Zehnder, 45, Arzt, verheiratet mit

Rechtsanwältin Lic. phil. Verena Zehnder-Altweg, 42, Kunstgeschichtlerin / Hausfrau, Roberts ältere Schwester

Marc Zehnder, 15, Gymnasiast, Sohn von Peter und Verena

Dr. iur. Alex Zehnder, Generaldirektor einer Grossbank, 48, Peters älterer Bruder, verheiratet mit

Frau Lic. iur. Claudia Zehnder-Corrodi, 45, Bezirksanwältin.

 

Erster Akt

 

(Salon der Familie Dr. Peter Zehnder-Altweg: Interieur einer klassischen Jahrhundertwende-Zürichbergvilla, Marmorcheminée, antike Möbel, verschiedene Bleistiftzeichnungen und Lithographien in Goldrahmen, eher Bildungsbürgertum als schwerreich, mit mehreren Tischlampen links und rechts der Sofas gut beleuchtet.)

(Es läutet.)

(Herr und Frau Dr. Zehnder-Corrodi treten ein, Begrüssung, Küsschen, Drinks.)

Alex: Ist Robert schon hier?

Verena: Nein, aber er hat mir versprochen, heute ausnahmsweise pünktlich zu sein.

Claudia: Wann ist er aus zurückgekommen? Und wie lange ist er jetzt in Afrika gewesen?

Verena: Sechs Wochen, - ich habe ihn gestern Abend um acht Uhr am Flugplatz abgeholt, - ihn, - sie.

Claudia: Sie?

Verena: Ja, er ist nicht allein gekommen, er hat aus Mauretanien einen kleinen Buben mitgebracht... also, stell Dir vor: Ich stehe im Flugplatz beim Ausgang im Terminal A und da kommt er heraus mit einem kleinen schwarzen Buben an der Hand...

Claudia: ...ein Negerlein? Wie alt?

Alex: Was will er denn mit dem hier?

Verena: Vielleicht zehn Jahre, ... ich sage: "Wer ist denn das?" Robert sagt zu ihm, "tell my sister who you are!" Und der Kleine, (mit hoher Stimme) "Hello auntie, I am Immanuel!"; aber das kann er Euch ja dann alles am besten selbst erzählen... ich wundere mich über nichts mehr bei Robert...

Alex: Du hast recht, bei Robert muss man immer auf Alles gefasst sein... Dein Vater hat immer gesagt, "ne te fâche pas, Alex, il est seulement un peu fantaisiste..."

Claudia: Aber das geht doch nicht... zehn Jahre...

(Cedric kommt herein.)

(Begrüssung, Küsschen)

Marc: Wann kommt Robert?

Verena: Er ist noch nicht da, aber er sollte jeden Moment kommen.

Claudia: Und Du hast den selbst gesehen?

Marc: Wen?

Claudia: Verena sagt, Robert habe aus Mauretanien einen zehnjährigen schwarzen Bub  mitgebracht.

Marc: Ich habe ihn selbst gesehen, kohlenrabenschwarz.

Claudia: Aber das kann er doch nicht machen, das ist doch unmöglich.

Alex: Unmöglich? Für Robert  ist nichts unmöglich, darum ist er so ein guter Anwalt. Er ist wie sein Vater, - oder seine Mutter...

Verena: Ja, eher...

Alex: Seine Mutter, - vor drei Jahren ist sie von einem israelischen Journalisten gefragt worden, wieso sie sich so furchtlos für jüdische Flüchtlinge eingesetzt habe, - weisst Du was sie gesagt hat:

Verena: Ich weiss es...

Claudia: Was?

Alex: "I just did it to spite the Swiss Nazis." - "Ich habe es nur getan, um die Schweizer Nazis zu ärgern."

Verena: Das stimmt, denn in Wirklichkeit ist sie nie speziell judenfreundlich gewesen, aber sie hat gefunden, Flüchtlingen müsse man helfen unabhängig, ob sie einem sympathisch seien oder nicht.

Claudia: Aber das ist doch ganz was Anderes, einen zehnjährigen Buben; also wenn das überhaupt stimmt,...

Verena: Ich sage Dir doch, ich habe ihn selbst gesehen, ein süsser Kerl...

Claudia: ...das könnte böse Konsequenzen haben...

Alex: Was für böse Konsequenzen?

Claudia: Das ist doch ein Fall für die Vormundschaft

 Alex: Du übertreibst völlig, das ist so eine Sache, wie das Lama, das er aus Kolumbien mitgebracht hat, das jetzt im Zoo ist, Robert hat ja auch Ius studiert, der weiss schon, was er tut.

Claudia: Nein, ich glaube im Ernst, dass das Probleme gibt; wie hat der überhaupt in die Schweiz einreisen können, ein Mauretanier braucht doch ein Visum...

Alex: Du meinst, es ist unmöglich...

Verena: Vielleicht dank seinem Diplomatenpass...

Peter: Jetzt weiss ich endlich, wieso er Konsul geworden ist.

Marc: Von wo ist er Konsul?

Verena: Vanuatu.

Marc: Wo ist das?

Alex: Ein Steuerparadies im Südpazifik. (lacht)

Claudia: Ich finde das überhaupt nicht witzig, ... eher ein Skandal, ...

Verena: Was ist ein Skandal?

Claudia: Der ganze Sextourismus und die Kinderprostitution in der 3. Welt das ist doch ein Riesenskandal!

Verena: Aber um das geht es doch gar nicht, meinst Du denn...

Claudia: Klar, wozu braucht er dann diesen Bub? Was stellst Du Dir dann vor?

Verena: Das glaube ich nicht, das würde Robert nie machen...

Peter: Da bin ich jetzt auch nicht so sicher, Verena, ob Du das wirklich beurteilen kannst.

Verena: Robert ist mein Bruder, er will doch nur étaper les bourgeois - Bürgerschreck spielen,...

Marc: Mir hat er gesagt, er hat ihn für 200 Dollar gekauft...

Verena: Eben, das ist doch ganz sein Stil.

Claudia: Mir persönlich geht das zu weit, wir leben doch nicht im Mittelalter...

Alex: Claudia, audiatur et altera pars, - ich glaube, wir sollten zuerst hören, was Robert zu sagen hat, bevor wir uns erhitzen.

Verena: Er sollte längst da sein, alles ist schon im Ofen. Ich muss schnell in die Küche. Marc, kannst Du mir helfen?

(Verena und Marc ab)

Alex: Ein Grossonkel von mir hat um 1910 aus Deutsch-Südwestafrika ein Negerlein mit in die Schweiz gebracht. Leider ist es dann in der grossen Grippeepidemie 1917 - ist das 1917 gewesen? - gestorben.

Claudia: Das sind andere Zeiten gewesen, Alex, heute geht das doch nicht mehr.

Peter: Er kann ihn ja adoptieren.

Claudia: Das fehlte gerade noch.

Peter: Warum?

Claudia: Da könnte sich ja jeder, Entschuldigung, Homosexuelle, ...

Alex: Bitte, Claudia, ...

Claudia: ... aus Thailand oder SriLanka einen Strichjungen adoptieren. Das kommt überhaupt nicht in Frage.

Peter: Siehst Du das jetzt nicht doch etwas zu sehr von Eurem Amt aus?

Alex: ...déformation professionelle... heirate nie eine Bezirksanwältin, ...

Peter: ... im Kinderspital sehe ich auch Vieles, was Euch bei der Vormundschaft die Sprache verschlagen würde, ...auch aus intakten Familien...

Claudia (aggressiv): Du weisst, dass Du meldepflichtig bist, wenn es um Kindsmissbrauch geht!

Peter (im gleichen Ton): Ich weiss schon was ich zu tun habe, und wann. Schaut Ihr, dass in Euren Heimen und Pflegeplätzen alles in Ordnung ist.

Claudia: (drohend) Peter...

Robert tritt ein, Begrüssung, kühle Küsschen, er schenkt sich vom Wagen einen Drink ein.

Claudia: Und wo ist Dein neuer Freund?

Robert: Welcher neue Freund?

Claudia: Verena hat uns gesagt, Du hättest aus Afrika einen Schwarzen mitgebracht. Stimmt das?

Robert: Ja, sicher, einen kleinen Buben, aber jetzt schläft er, darum bin ich so spät, ich musste ihn noch ins Bett bringen, - ich bin halt jetzt ein alleinerziehender Vater.

Claudia: Wie alt ist der Bub?

Robert: Etwa zehn, ich weiss es nicht genau... circa so (zeigt 110 cm) gross und höchstens 25 Kilo schwer.

(Verena tritt ein.)

Verena: Darf ich zu Tisch bitten. Die Herrschaften sind serviert.

(Alle ab / Vorhang)

 

Zweiter Akt

 

(Im Esszimmer der Villa, Henri IV von den Eltern, aber nicht muffig, am Tisch.)

Verena: Robert, wir sind alle so neugierig, Du musst uns die Geschichte von Deinem Negerlein von Anfang an erzählen.

Robert: Es ist total trivial: Ich bin sechs Wochen im Auftrag der Bank Med-Orient in Nouakchott gewesen, sie haben grosse Guthaben bei der Regierung, die wir umschulden mussten. Statt im Hotel, - es hat kein gutes Hotel, - bin ich bei einem Cousin des Verwaltungsratspräsidenten untergebracht worden, der dort lebt, in einem separaten Gästehaus, sehr feudal, ein weisser Bungalow völlig mit Bougainvilleas überwachsen in einem grossen Garten. Und dort haben sie mir diesen Buben vor die Türe gesetzt, damit er für mich von der Küche des Haupthauses holt, was ich wünsche, Tee, Kaffee, Früchte, Eiswasser, usw.. Ich habe ihn dann bei mir Fernsehen lassen am Abend und mit der Zeit habe ich mich ein bisschen verliebt...

Claudia: ...voilà...

Robert: ...quatsch, es ist eben ein lieber kleiner Bub, und ich habe ihn ausgefragt, ob er in die Schule geht, wie er Englisch gelernt hat, habe ihm die Resten von meinem Essen gegeben...

Claudia: ... Marc hat gesagt, Du hättest ihn für 200 Dollar gekauft!

Robert (erfreut): Das stimmt, er hat einem Autowäscher gehört, der ihn gekauft hat, damit er für ihn Autos wäscht, und der hat ihn dann meinen Gastgebern als Pfand für ein Darlehen von etwa 100 Dollars gegeben.

Claudia: Aber das gibt es doch nicht! Das ist ja Sklavenhandel!

Robert: Ja, ja, ja, es ist Sklavenhandel, und ich wollte ihn eigentlich nur freikaufen und dann zu seinen Eltern nach Hause schicken, aber weder der Bub, noch meine Gastgeber, noch der Autowäscher haben gewusst, wo er herstammt, er ist ein Lobi aus dem Nordwesten von Mauretanien, aber er sagt, seine Mutter sei in Nouakchott gestorben, seinen Vater kennt er nicht.

Claudia: Und Du hast ihn wirklich für 200 Dollar gekauft.

Robert: Klar, ich habe 200 Dollar bezahlt, und damit war er mein. Dann habe ich Immanuel gesagt, "okay, Immanuel, now you are a free man!" und jetzt ist er halt hier.

Peter: Mich erstaunt das nicht, in Bolivien habe ich Hunderte solcher Kinder gesehen, die als Diener an reiche Familien verkauft worden sind, für 20 bis 50 Dollar, bestenfalls.

Claudia: Aber da müsste doch etwas dagegen unternommen werden...

Alex: Wie?

Marc: Die Uno...

Alex: Das hilft doch nichts...

Peter: Diese Länder haben alle die Charta der UNICEF über die Rechte der Kinder unterzeichnet, aber das Problem ist die Armut, das mangelnde soziale Netz, und das löst kein Gesetz.

Claudia: Aber wir dürfen trotzdem nicht zulassen, wie die Reichen der ersten Welt sich die armen Kinder der dritten Welt kaufen.

Verena: Robert, sag uns, was  Du jetzt vorhast mit...

Robert: ...Immanuel, ...

Alex: ...Immanuel.

Robert: Ich wollte ihn in Mauretanien in ein gutes Internat stecken, damit er aufgefüttert wird, und eine gute Ausbildung bekommt. Das hätte ja höchstens ein paar tausend Franken pro Jahr gekostet.

Verena: Das wäre doch sehr gut gewesen, da hätte ich mich an den Kosten auch beteiligt.

Robert: Danke, Schwester, Du bist ein Schatz. Ich habe mich bei der besten Schule am Ort gemeldet: Backsteinbau, Mahagonimöbel, Principal im massgeschneiderten Anzug mit furchtbar snobigem Akzent. Ich erkläre, was ich will, - "welche Schulen hat er bisher besucht?" - "was macht sein Vater?" - "wir bedauern, aber, sehen Sie, wir sind eine Institution mit höchsten akademischen Anforderungen, da ist es uns unmöglich, Ihren Wünschen zu entsprechen." Und tatsächlich wird in allen diesen Schulen gebüffelt wie in Eton, Harrow oder Rugby. Keine Chance für Immanuel. Ich hätte ihn höchstens in ein Waisenhaus bringen können,...

Claudia: Ich kann immer noch nicht glauben, dass es heute immer noch Menschenhandel geben soll, ich meine Deine Bekannten, das sind doch westlich-zivilisierte Leute.

Robert: Ja, er hat an der London School of Economics studiert und seine Frau hat in Athen Kunstgeschichte studiert, sie sind sehr reich, sehr kultiviert, sogar eher progressiv würde ich sagen, jedenfalls progressiver als ich.

Claudia: Und die empört das nicht, das man einen Buben für 200 Dollar kaufen kann?

Robert: Wenn Du lange in einem Entwicklungsland gelebt hast, weisst Du von Vielem einfach, dass es so ist und, dass Du es nicht ändern kannst.

Claudia: Sind das Christen?

Robert: Ja, ich glaube, Drusen.

Alex: Das Christentum hat sich doch nie gegen die Sklaverei ausgesprochen...

Claudia: Das ist nicht wahr...

Peter: Bitte, Claudia, da gibt es doch massenhaft Quellen; die Kirche und die Klöster haben ja selbst überall tausende von Leibeigenen gehabt.

Claudia: Im Mittelalter.

Peter: Die Dritte Welt lebt im Mittelalter.

Claudia: Etwas Anderes: Wie hast Du ihn in die Schweiz gebracht?

Robert: Ohne Probleme!

Claudia: Ja, aber wie?

Alex: Das sind doch Details, wichtiger ist doch, Robert, was willst Du jetzt hier mit ihm anfangen?

Claudia: Ich finde das keine Details, ...

Peter: Und ist er gesund, hast Du ihn schon untersuchen lassen, auch auf Parasiten usw.?

Robert: Es geht ihm nicht gut, ich wäre froh, wenn Du ihn Dir sobald wie möglich anschauen könntest.

Peter: Komm doch morgen gleich mit ihm in meine Sprechstunde, am besten gleich um acht Uhr, oder möchtest Du, dass ich jetzt gleich...

Robert: Nein, jetzt schläft er, aber morgen früh komme ich sehr gerne.

Verena: Robert, ich finde das phantastisch von Dir, aber wo soll er dann wohnen, wer schaut dann zu ihm, Du kannst ihn doch nicht den ganzen Tag allein in Deiner Wohnung lassen, während Du arbeitest? - Entschuldigt mich, ich muss zum Kaffe schauen.

(ab)

Alex: Robert: "...Vater sein dagegen sehr!"

Robert: Ok, mein Plan ist: 1. Auffüttern; 2. Eine gute Schule suchen; 3. Adoptieren.

Claudia: Adoption, das kannst Du vergessen...

Alex: ...das hat auch erbrechtliche Konsequenzen, die Du bedenken solltest...

Peter: Hand aufs Herz, glaubst Du, Du kannst Immanuel ein vernünftiges Elternhaus bieten, allein.

Claudia: Jedes Kind braucht zuerst eine Mutter!

Robert: Ich kann ihm auch Zuoz bezahlen, wenn das nötig ist. Das ist ja für mich auch gut genug gewesen.

Claudia: Bist Du sicher, dass er keine Verwandte mehr hat?

Robert: Er weiss es nicht, der Autowäscher hat gesagt, seine Mutter sei eine Prostituierte gewesen, ...

Peter: Dann müssen wir ihn sofort auf AIDS testen.

Claudia: Und wenn er....

Verena (tritt ein): Darf ich Euch zum Kaffee in den Salon bitten.

(Vorhang)

 

Dritter Akt

 

(Im Salon vor dem brennenden Feuer im Cheminée)

Claudia: Robert, Du musst mich entschuldigen, aber ich muss Dir sagen, dass Du mit dem Gesetz in Konflikt kommst, wenn Du diesen Buben bei Dir zu behalten versuchst. Mit meinem Amt zudem.

Alex: Claudia, ich habe Dir schon gesagt, dass Robert auch Ius studiert hat.

Claudia: Ich weiss das, Alex, aber vielleicht ist er sich nicht bewusst, dass...

Robert: Ich bin mir bewusst, Claudia, darum wollte ich ihn auch nicht in die Schweiz bringen, aber, Claudia, wie heisst der wichtigste Grundsatz im modernen Kindesrecht?

Claudia: Du meinst: "Das Kindeswohl geht allen andern Überlegungen vor."

Robert: Exakt. Also, was hätte ich Deiner Meinung nach machen sollen?

Peter: Ja, Claudia, was hättest Du gemacht in seiner Lage?

Claudia: Das kann ich jetzt nicht sagen, aber zumindest müsste man den Buben sofort in einer vernünftigen Pflegefamilie unterbringen.

Alex: Habt Ihr nicht viel zu wenig Pflegeplätze?

Claudia: Das stimmt, oder eben in einem Heim.

Verena: Aber ein gutes Internat, es muss ja nicht unbedingt Zuoz sein, wäre doch viel besser, das musst Du doch zugeben, Claudia.

Claudia: Das ist ein rechtliches Problem...

Verena: Warum?

Claudia: Wir, also die Vormundschaft, können ihn nicht in ein Internat plazieren, auch wenn Robert für die Kosten aufkommt.

Peter: Und wo ist jetzt da das Kindeswohl?

Claudia: Wir können nicht für jeden Einzelfall ein besonderes Gesetz haben; und die Fremdenpolizei wird sowieso verlangen, dass er die Schweiz sofort wieder verlässt, ausser...

Verena: Ausser?

Claudia: Es meldet sich sofort ein Ehepaar, das Chancen hat ein Adoptivkind zugesprochen zu erhalten, und stellt einen Adoptionsantrag, dann könnten wir ihn, im günstigsten Fall, bei diesem Ehepaar als Pflegekind plazieren. Aber das müsste sehr schnell gehen, wegen der Fremdenpolizei.

Alex: Robert, Claudia wird Dir helfen.

Claudia: Ich kann das nicht allein entscheiden.

Alex: Und Du bist sicher, dass Robert ihn unter keinen Umständen adoptieren kann?

Claudia: Das steht gar nicht zur Diskussion; er kann nicht einmal eine vorübergehende Pflegebewilligung erhalten. Bei uns in Zürich, ausgeschlossen.

Robert: Darf ich fragen, wieso?

Claudia: Bitte, Robert! Das ist Dir doch auch klar! Du bist ja nicht einmal verheiratet, und also ich glaube wir wissen alle, dass Du, - Entschuldigung, Robert, -

Robert: Tu Dir keinen Zwang an!

Claudia: ...homosexuell bist.

Robert: So what?

Alex: Artikel 4 Bundesverfassung, interessante Frage, Claudia, gibt es da eine gesetzliche Grundlage?

Claudia: Nein, aber der gesunde Menschenverstand lässt doch das nicht zu, und auch nach ständiger Praxis des Bundesgerichts werden Adoptionen durch Einzelpersonen nur in Ausnahmefällen gutgeheissen.

Alex: Aber, Claudia, ich habe letzthin einen Kunden beraten, wegen dem Erbrecht nach neuem Adoptionsrecht, und da habe ich die Paragraphen über die Adoption nachgelesen, da steht doch ganz klar, dass Einzeladoptionen legal sind. Ohne jede Einschränkung.

Claudia: Du kannst es ja versuchen, aber Chancen hast Du überhaupt keine, das kann ich Dir heute schon verraten.

Peter: Konkret meinst Du also, Claudia, er soll den Buben morgen früh bei Euch abgeben, Ihr übergebt ihn dann der Fremdenpolizei, die ihn nach Mauretanien ausschafft.

Claudia: Also, wenn Du auf mich hörst, Robert, dann schickst Du den Buben mit dem nächsten Flugzeug nach Mauretanien zurück, dann hast Du zumindest eine gewisse Chance ungestraft davon zu kommen, eventuell.

Robert: Ungestraft für was?

Claudia: Unzucht mit Minderjährigen, Kindsentführung, Verletzung von Einreisebestimmungen

Robert: Zu Punkt eins: Ich erkläre mich unschuldig und bitte die Anklage ihre Beweise vorzulegen. Zu Punkt zwei: Ich habe ein Kind aus der Sklaverei freigekauft, daraus eine Kindsentführung zu machen ist absurd. Zu Punkt drei: Verletzung von Einreisebestimmungen: Ich erkläre mich unschuldig und bitte die Anklage ihre Beweise vorzulegen.

Alex: Claudia, das ist doch nicht Dein Ernst? Du hast ja nicht die Spur eines Beweises für Deine Verdächtigungen.

Claudia: Wozu braucht er dann diesen Buben?

Robert: Ich brauche ihn gar nicht, er braucht mich!

Alex: Ich finde auch, sieht tatsächlich so aus.

Verena: Robert, ich habe Dir immer vertraut, Hand aufs Herz, Du hast ein gutes Gewissen?

Robert: Ausnahmsweise, und nur in diesem Einzelfall.

Verena: Peter, können nicht wir zwei ihn adoptieren?

Peter: Das können wir doch nicht einfach so spontan entscheiden, wir haben ja den Buben noch gar nicht gesehen.

Marc: Ich bin dagegen!

Alex: Ihr müsstet Euch schon überlegen, welche Konsequenzen das für Marc hat, ich meine erbrechtlich...

Verena: Claudia, geht das überhaupt, wenn man bereits einen Sohn hat?

Claudia: Grundsätzlich ist das nicht ausgeschlossen, aber unter Umständen geht es der Fremdenpolizei nicht schnell genug.

Peter: Du willst sagen, wenn wir das Kind zu uns nehmen, dann lässt Du es bei uns von der Polizei holen,  - vielleicht könntest Du ein gutes Wort einlegen für uns?

Claudia: Lieber nicht, wir bemühen uns ja gemeinsam, also Vormundschaft und Fremdenpolizei, zu verhindern, dass jeden Tag Leute mit schwarzen Babies auf dem Arm in Kloten am Zoll stehen und eine Ausnahmebewilligung verlangen.

Alex: Claudia, aber in diesem speziellen Fall ...

Robert: Verena und Peter, ich danke für Euch für Euer grosszügiges Angebot, aber bevor Ihr Euch allzulange überlegt, Immanuel zu adoptieren, muss ich Euch noch etwas sagen:

Verena: Was?

Robert: Er ist HIV-positiv.

Peter: Dann ist für mich die Sache klar: Wir nehmen ihn, also, wenn Claudia einverstanden ist, zu uns, ich bin Arzt, wir können ihm die bestmögliche Pflege bieten. In Mauretanien hat er doch gar keine Chance.

Alex: Peter, das ehrt Dich, gratuliere!

(gibt ihm die Hand)

Verena: Ich glaube, jetzt muss ich Euch alle enttäuschen. Ich weiss nicht, ob ich das könnte, als Mutter, ein Kind annehmen, ein Kind lieben beginnen, von dem ich weiss, dass es bald stirbt. Ich glaube, das ist zuviel verlangt, ich traue mir das einfach nicht zu, ich weiss nicht, ob ich die Kraft dazu hätte. Auch wegen Marc, das wird doch auch eine riesige Belastung für ihn...

Marc: Das ist doch mir egal, solange er mich nicht ansteckt.

Alex: Robert, wie lange weisst Du schon, dass er AIDS hat?

Robert: Ich habe es von Anfang an gedacht, weil er so krank und mager ausgesehen hat, die andern Diener im Hause sind ja alle wohlgenährt gewesen. Darum habe ich ihn noch in Nouakchott sofort testen lassen.

Verena: Aber wie hast Du Dir das vorgestellt, Du hast doch keine Zeit hier den ganzen Tag ein krankes Kind zu pflegen? Und dann hat es ja vielleicht gar keinen Sinn, ihn in eine Schule zu schicken, oder am Ende wollen sie ihn gar nicht aufnehmen, wenn sie wissen, dass er AIDS hat. - Peter, muss man das der Schule mitteilen?

Peter: Im Interesse der andern Kinder: Ja. Im Interesse des eigenen Kindes: Nein. Er kann die Schule bei uns am Kinderspital besuchen, da gibt es keine solchen Probleme. - Hat er schon Symptome?

Robert: Wie gesagt, er ist brandmager und hustet.

Peter: Bring ihn morgen früh in meine Sprechstunde, ich schaue, was wir tun können.

Robert: Danke, offen gesagt, habe ich an Dich gedacht in Nouakchott, ich habe gewusst, dass Du uns nicht im Stich lassen wirst.

Alex: Die Adoption fällt dann wohl ausser Abschied und Traktanden.

Robert: Nein, eigentlich nicht, "Just to spite the Swiss Nazis!"

Claudia (beleidigt): Meinst Du mich?

Robert: Claudia, Du bist eine sehr tüchtige Frau, aber wenn unsere Eltern im 2. Weltkrieg auf Leute wie Dich gehört hätten, gäb es jetzt keinen Altweg-Boulevard in Haifa.

Alex: Claudia meint das doch gar nicht so hart, wie sie es sagst.

Claudia: Wir wollen einfach nicht, dass immer mehr Kinder aus der Dritten Welt von Schweizern adoptiert werden.

Verena: Aber warum, das ist für diese Kinder oft die einzige Rettung?

Claudia: Aber es ist keine Lösung für die Probleme der Dritten Welt ist. Es gibt Millionen Immanuels und wir können sie nicht alle in die Schweiz nehmen; die Probleme müssen durch Entwicklungshilfe an Ort gelöst werden, und durch politische Veränderungen, vermehrte Importe aus diesen Ländern usw. Adoptionen sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein, sie lösen keine Entwicklungsprobleme.

Peter: Aber Immanuels Problem würde es doch lösen?

Claudia: Wenn eine Adoption misslingt, sind doch wieder wir die Neger. Ein Kind ist kein Haustier, das man abtun kann, wenn man seiner überdrüssig ist. Das muss gut überlegt sein.

Alex: Überlegt schon, aber ob es unbedingt eine Bewilligung dafür brauchen muss, da müsstet Ihr ja auch jede Schwangerschaft bewilligungspflichtig machen.

Peter: Das würde viele Probleme lösen.

Marc: Am besten die ganze Bevölkerung wird bei der Geburt zwangssterilisiert und ein Amt für Nachwuchs züchtet jedes Jahr ein paar Tausend Idealschweizer in vitro. Orwell lässt grüssen.

Peter: Soweit sind wir zum Glück noch nicht.

Claudia: Klar nicht, es tut mir leid, wenn Ihr mich missverstanden habt, wir wollen doch einfach nicht, dass sich die Leute im Urlaub schnell ein schwarzes Baby schnappen, mit dem sie dann in der Schweiz nach ein paar Monaten nicht mehr zurechtkommen.

Peter: Das ist ein Problem, aber unterdessen sterben in Afrika Tausende von Kindern für die in der Schweiz mit etwas gutem Willen ein Adoptionsplatz gefunden werden könnte.

Alex: Das ist eine Grundsatzdiskussion. - Was wird jetzt aus Immanuel?

Peter: Zuerst kommt er zu mir ins Kinderspital, dann sehen wir, was er überhaupt noch machen kann, ob er bei uns die Schule besuchen kann, ob er im Spital bleiben soll oder ob er vorläufig noch bei Robert wohnen kann.

Claudia: Dafür braucht er eine Pflegebewilligung, da muss er sich damit abfinden, dass das nicht geht.

Robert: Liebe Claudia,  "che mi frega."

Claudia: Aber dann nehmen sie Dir Immanuel weg.

Alex: Das wird Claudia nicht machen.

Claudia: Das bestimmst nicht Du.

Verena: Robert, wäre es nicht besser, Claudia um eine Ausnahmebewilligung zu bitten?

Robert: "Let's face the facts, " Claudia: Ich brauche keine Ausnahmebewilligung. Immanuel ist Mitglied meines konsularischen Haushalts und hat einen gültigen Diplomatenpass.

Claudia: Das ist doch ein fauler Trick!

Peter: Gratuliere, Robert!

Alex: Ich fürchte, Claudia, da kann Euer Amt nichts dagegen tun.

Verena: Ich bin froh, ich sorge mir nur, wie Du das zeitlich schaffen willst, neben Deiner Arbeit noch ein krankes Kind zu pflegen; wird das Dir nicht zuviel?

Robert: Ich habe es mir gut überlegt. Ich werde ihm die Zeit widmen, die er braucht, notfalls auf Kosten meiner Arbeit. Ich bin ja nicht der einzige Rechtsanwalt in Zürich...

Alex: ...aber einer der Besten...

Robert: ...meine Kunden können einen andern Anwalt finden, auch in unserer Praxis, Immanuel nicht.

(Vorhang / Ende)